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Helmut Michael Vogel: Pazifismus kennt keine moralische Neutralität

Gespeichert von Friedensmaster am So., 20.04.2025 - 16:16

Pazifismus und antimilitaristischer Kampf

Zum Gewaltbegriff der Kriegsdienstgegner

Es gibt die Begriffe der militärischen, kriegerischen, strukturellen, latenten, offenen, verdeckten, emanzipatorischen, revolutionären, individuellen, tragischen, verbrecherischen, rechtsverletzenden, rechtserhaltenden, gesellschaftlichen Gewalt. Es gibt noch eine Anzahl weiterer Begriffe, die sich mit dem Zentralbegriff kombinieren lassen, zum Beispiel Naturgewalt, Gewalt der Rede usw ... Häufig wird der Begriff Gewalt und gewalttätig auch im Sinne von Macht oder mächtig benutzt — kurz, der Zentralbegriff unserer Zeit zählt nicht nur zu denjenigen, die am meisten diskutiert werden, er gehört leider auch zu den am wenigsten definierten Begriffen. Er ist vieldeutig, unscharf und mißverständlich.

Das Gleiche muß von seinem Gegenbegriff gesagt werden: Gewaltlosigkeit. Welcher Art ist die Gewalt, von der man frei zu sein glaubt oder vorgibt, auf welche man verzichtet oder zu verzichten sich bemüht? Aus welchen Gründen? Zu welchem Zweck? Hier sei die Bemerkung erlaubt, daß ein zeitweiliger bewußter Verzicht auf »Gewalt« (gleich welcher Art) wiederum zur Gewalt wird, wenn damit ein »Sieg« errungen werden soll oder eine »Überwindung« des Gegners, vielleicht zur »sanften« Gewalt?

Es kann ernsthaft nicht bestritten werden, daß unbewaffnete Menschen, zum Beispiel Christus oder Gandhi, eine tausendmal größere »Gewalt« ausübten als ganze Armeen bis an die Zähne bewaffneter Krieger. In den Begriffen von der »Macht der Gewaltlosigkeit« und der »Ohnmacht der Gewalt« berühren sich die Extreme — gehen ineinander über.<11>

Der Gewaltbegriff der War Resisters International

Im Text der WRI-Grundsatzerklärung' wird nur das Wort »Krieg« verwendet. Durch die Formulierung »keine Art von Krieg« wird zugleich gesagt, daß es sich um »echten«, das heißt Schießkrieg handelt: gemeint ist der Angriffs-, Verteidigungs-, Bürger-, Bruder-, Revolutions-, Befreiungs-Krieg — um die Hauptkriegsarten beim Namen zu nennen.

Um nun zu einer inhaltlichen Bestimmung des Gewaltbegriffs zu gelangen, erscheint es sinnvoll und logisch, ihn vom vorstehenden Kriegsbegriff her zu bestimmen und für die Diskussion festzulegen. Um deutlich zu machen, wie das zu verstehen ist, erlaube ich mir, die Grundsatzerklärung um den Gewaltbegriff zu erweitern: »Die Kriegsgewalt ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Kriegsgewalt, gleich welcher Art, anzuwenden, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Ursachen für kriegerische Gewaltanwendung mitzuarbeiten.«

Der Versuch, den Gegenbegriff der Gewaltlosigkeit vor dem Hintergrund des Gewaltbegriffs als Kriegsgewalt zu bestimmen, macht deutlich, daß die Kriegsdienstverweigerung als Kriegsgewaltverweigerung die persönliche Entscheidung beinhaltet, von dieser Gewalt »los« zu kommen, frei zu werden.

Demnach sind der Soldat, seine Befürworter sowie diejenigen, die den Militärdienstzwang verordnen und dulden, potentiell gewalttätig; demgegenüber ist der Kriegsverweigerer de facto gewaltfrei oder gewaltlos.

Die aus der Grundsatzerklärung ableitbaren und definierbaren Begriffspaare »Gewalt« und »Gewaltlosigkeit« sind eindeutig auf alle Formen der kriegerischen Gewaltanwendungen bezogen, deren Kriterien Tod, Zerstörung sowie Massenhaftigkeit, Unbegrenzbarkeit und Unterschiedslosigkeit der Waffenwirkungen sind. Der Entschluß, sich an dieser Gewalt (auch vorbereitend) nicht zu beteiligen, die Entscheidung, sich dieser Gewalt vollständig zu verweigern, ist mit der Haltung der Gewaltlosigkeit identisch. Diese Haltung ist persönlich bestimmt, wird freiwillig erbracht, ist konkret auf Wehr- und Kriegsdienst bezogen und kann, muß aber nicht die Haltung und Stellung des Kriegsdienstverweigerers zu anderen Formen der Gewalt beeinflussen bzw. bestimmen. Die aus der Ablehnung kriegerischer Gewalt und deren Verweigerung resultierende Gewaltlosigkeit kann, muß aber nicht zur »Weltanschauung«, zum<12> Dogma, zur »Heilslehre« führen, deren Kern- und Mittelpunkt ebenfalls »Gewaltlosigkeit« heißt, die aber im Gegensatz zur rational begründbaren Gewaltlosigkeit, die im Akt der Verweigerung gegeben ist, eher einer Glaubensüberzeugung, das heißt irrationalen Gesinnung gleichkommt.

Für mein Verständnis beschreibt die Grundsatzerklärung eine nach- vollziehbare rationale Handlungsweise, die im gesellschaftlichen Raum praktizierbar ist. Seine Entscheidung gegen Kriegsgewalt und Krieg kann jeder Vernünftige begründen.

Antimilitaristischer Kampf — hier und jetzt

Es muß nicht eigens begründet werden, daß dieser Kampf jetzt und hier, das heißt jeden Tag, jede Stunde und an meinem Platz, in meiner Stadt, in unserem Land geführt werden muß.

Die unmittelbarste und direkteste Kriegsursache muß in der Vorbereitung des Krieges gesehen werden. Diese Kriegsvorbereitung geschieht gegenwärtig ausschließlich mit der Begründung, durch militärische Rüstung den Krieg verhindern zu wollen.

Diese Kriegsvorbereitungen haben aufgrund der Waffentechnologie sowie der daraus resultierenden »strategischen Notwendigkeiten« längst globalen Charakter angenommen. Es ist nachgewiesen, daß alle Bereiche nationaler, gesellschaftlicher, internationaler Beziehungen politischer und ökonomischer Natur durch militärpolitische, militär- strategische und rüstungspolitische Dominanz geprägt und überfremdet sind. Die zentrale Aufgabe des antimilitaristischen Kampfes besteht demnach eindeutig in der Lösung der Abrüstungsfrage.

Abrüstung ist unabdingbare Voraussetzung für Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit — und nicht umgekehrt, wie eine bestimmte Schule der Friedensforschung verkündet. Die »Herstellung einer gewaltlosen Gesellschaft« als Nahziel zu verkünden und als Kampfziel aufzuzeigen, dabei aber die zum Bersten gefüllten Arsenale ‚des militärisch-industriellen Komplexes zu übersehen, ist naiv. Oder, im es überspitzt zu sagen: wer sich gegenwärtig, hier und jetzt, mit dem Abbau »individueller Aggressionspotentiale« durch »Friedenserziehung« oder mit dem Entwerfen von »Szenarios« für gewaltfreien Aufstand beschäftigt, ohne sich zugleich massiv hinter die Bemühungen um politische Friedenssicherung mit deren Zielsetzung »Abrüstungskonferenz« zu stellen, gibt zu erkennen, daß er ein Bauchnabelbeschhauer ist. Er hat die aus der Kriegsdienstverweigerung resultiernde<13> politische, soziale und moralische Verpflichtung, offensiv im gesellschaftlichen Bereich zu kämpfen, nicht, noch nicht erkannt.

Die Praxis des politischen Pazifismus

Für die in letzter Zeit immer wieder geäußerten an der Echtheit oder Glaubwürdigkeit der Verpflichtung zu gewaltlosem Kampf - hier und jetzt - gibt es in der Praxis des politischen Kampfes er DFG-IDK keine Bestätigung. Weder in der Vergangenheit noch gegenwärtig praktizieren die Organisation oder einzelne Mitglieder Gewalttätigkeit zur Durchsetzung der politischen Ziele. Eine derart ve Praxis ist auch in Zukunft auszuschließen, weil mit der Mitgliedschaft in der DFG-IDK unvereinbar.

Wenn demgegenüber die Meinung vertreten wird, daß schon die theoretische analytische Beschäftigung mit der Gewaltfrage oder die Aussage über künftiges, möglicherweise gewalttätiges Verhalten mit dem WRI-Pazifismus und dem Programm der DFG-IDK unvereinbar sei, so bedeutet dies letztlich die Blockade notwendiger Selbstkritik, verhindert im Endeffekt die weiterführende Diskussion und führt damit zur Stagnation der Arbeit überhaupt.

Wir müssen von der realistischen Einschätzung ausgehen, dass in den Grundfragen der Gewalt bzw. Gewaltlosigkeit hunderten Übereinstimmung innerhalb der DFG-IDK nicht zu erreichen ist.

Denn diese Fragen berühren Tiefenschichten, die der Vernunft " 1 a Willen des Menschen entzogen sind. Wir werden in der DEG-IDK als einer relativ großen Organisation, die sich als politischer Kampfverband versteht, wo also immer und jederzeit auch die Emotionen eine Rolle spielen werden, allein schon aufgrund der Unterschiedlichkeit der Mitglieder hinsichtlich ihrer politischen, weltanschaulichen und religiösen Orientierungen, genötigt sein, Kompromisse zu suchen und zu finden.

Das heißt, ethisch formuliert, wir sind auf gegenseitige Toleranz: angewiesen, sofern wir in der Zielsetzung des Kampfes solidarisch übereinstimmen. Gibt es diese Übereinstimmung nicht, ist auch Toleranz nicht möglich.<14>

Weder unpolitisch, selbstgerecht noch intolerant

Politischer Pazifismus und die Frage der Gewalt

Es kann heute kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß die stetig steigende Zahl der Kriegsdienstverweigerer als politische Antwort auf politische Zustände gewertet werden muß. Wie sehen diese Zustände konkret aus? Weltweite verzweifelte Empörung über das Verbrechen des Vietnamkrieges — und das offizielle Bonn auch unter der Kanzlerschaft Willy Brandts hat sich bis zur Stunde nicht zu einer eindeutigen Distanzierung von der US-Aggression durchgerungen. Im Vollzug der verabschiedeten Notstandsgesetze wird das Zivilschutzkorps vorangetrieben, tritt das Notstandsparlament zusammen — kurz, die weitergehenden Militarisierungstendenzen im Innern sind unverkennbar. Alles das ist den vitalen Interessen der jungen Generation, ihrem Streben nach mehr Demokratie in allen gesellschaftlichen Bereichen, ihrem Anspruch auf eine gesicherte Zukunft, auf ein Mitspracherecht bei der Gestaltung ihrer Zukunft, diametral entgegengesetzt. Es zeigt sich ihr heute mehr noch als in früheren Jahren die Widersprüchlichkeit der offiziellen Politik. Ich meine damit insbesondere den Widerspruch zwischen der neuen Entspannungs- und Friedenspolitik und der Fortführung der alten sogenannten Sicherheitspolitik. Und das trifft ganz besonders auf die Militärpolitik zu, die unter der verantwortlichen Leitung von Helmut Schmidt betrieben und bis weit in die 70er Jahre im voraus geplant wird. Wenn man sich damit beschäftigt, dann hat man den Eindruck, als wenn Herr Schmidt noch nie von dem Vertrag gehört hätte, den die Regierung, der auch er angehört, abgeschlossen hat — und zwar mit der Sowjetunion, gegen die sich nach wie vor die Rüstungsanstrengungen richten.

Was sollen wir vom Gesamtkonzept der Entspanungs- und Friedenspolitik des Kabinetts Brandt halten, wenn zugleich der amtierende Verteidigungsminister der Weltöffentlichkeit gegenüber milliardenverschlingende Rüstungsplanungen bis zum Jahre 1978 vorlegt; wenn er die Territorialarmee der Bundesrepublik, die bekanntlich nicht der NATO untersteht, schon in nächster Zeit fast verdreifachen will; wenn der Rüstungshaushalt für 1971 im Anschlag um 2,7 Milliarden DM höher liegt als in diesem Jahr; wenn Schmidt jetzt auch die verheirateten Wehrpflichtigen in die Kaserne ruft?

Wir sind der Meinung, daß nur einer von beiden — entweder Willy Brandt oder Helmut Schmidt — recht haben kann; daß es entweder eine glaubhafte Entspannungs- und Friedenspolitik gibt oder eine —<15> wie gegenwärtig praktiziert — modifizierte Fortsetzung der gescheiterten Politik der Stärke. Beides zusammen geht nicht!

Es ist einfach nicht wahr, wenn immer wieder und immer noch behauptet wird, man könne bei Verhandlungen mit dem Osten nur etwas erreichen, wenn man von der gesicherten Position der Stärke — der militärischen Stärke — ausgehen könne. Wir haben es bei diesem Axiom, das gegenwärtig immer noch aus Bonn zu hören ist, mit einem sehr unmoralischen Relikt aus der Adenauer-Ära zu tun. Es ist zutiefst unmoralisch, wenn man einen Vertrag über Gewaltverzicht abschließt und in bezug auf die Kriegsvorbereitung nicht-nur nicht alles beim alten läßt, sondern die sogenannten Verteidigungsanstrengungen noch steigert.

Die DFG-IDK vertritt den konsequenten Pazifismus, und der hervorragende Ausdruck dieses Pazifismus, wie er in unserer Grundsatzerklärung, im Programm und in der Satzung niedergelegt ist, besteht in der Verweigerung jeden Kriegsdienstes. Der Kongreß zu Pfingsten in Essen? hat in seiner Abschlußerklärung gleich im ersten Satz unmißverständlich festgestellt: »Jede Kriegsdienstverweigerung ist eine politisch relevante Entscheidung.« Das bedeutet nichts anderes als eine Entscheidung gegen unmoralische Politik zugunsten einer Politik, die zumindest die Bemühungen um Durchsetzung moralischer Kategorien erkennen läßt.

Lassen Sie uns deshalb heute den Entschluß fassen, unsere Anstrengungen zu vervielfachen. Konkret meine ich damit eine Erweiterung der Informationsarbeit über das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern. Ein solcher Entschluß ist die Voraussetzung für eine Verdoppelung und Verdreifachung der Zahl der Verweigerer und damit zugleich eine Voraussetzung für den Zwang, die Rüstungs- und Militärpolitik zu ändern.

Damit will ich Ihre Aufmerksamkeit auf den zweiten Entschluß richten, den wir auf diesem Kongreß fassen sollten: wir sollten uns verpflichten, im Bündnis mit allen Vernünftigen eine permanente Aktion einzuleiten, um die mit dem Gewaltverzichtsvertrag begonnene Politik zum Erfolg zu führen. Ich muß Ihnen nicht sagen, daß sich in unserem Land alle alten und neuen Nazis, alle Ewiggestrigen, die reaktionären Berufsvertriebenen, die Militärs und bestimmte Kreise der Rüstungsindustrie zum Widerstand gegen diesen Vertrag und die europäische Entspannungspolitik gesammelt haben — mit Strauß an der Spitze, versteht sich. Das ist der erste Grund. Zweitens müssen wir sehen, daß diese Politik der Entspannung unsere Unterstützung erfordert, weil nur durch sie die Prinzipien der Koexistenz<16> friedlichen Charakters und in letzter Folge die Abrüstung selbst erreicht werden kann.

Das Problem der europäischen Sicherheit — der nichtmilitärischen Sicherheit — beinhaltet im Kern die endliche Anerkennung der europäischen Grenzverläufe, wie der Zweite Weltkrieg sie hinterlassen hat. Es ist damit im Grunde das Hauptproblem der beiden Herzländer Europas: der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik.

Es ist also vorrangig ein deutsches Problem, das im Interesse der europäischen Völker von den Deutschen gelöst werden muß. Und hier steht an erster Stelle der Kampf um die Anerkennung der DDR und der Nachkriegsgrenzen. Das heißt: Die konkrete Form unseres Kampfes um Frieden ist der Kampf um die Herbeiführung europäischen Sicherheitskonferenz sowie zur Überwindung der geschilderten formierten und konzentrischen Widerstände gegen eine solche Konferenz.

Die DFG-IDK kann ihren Beitrag in diesem Ringen dadurch leisten, daß sie Sinn und Absicht einer solchen Konferenz in der öffentlichen Meinung verbreitet und vertieft.

Gewalt, Gegengewalt und Gewaltlosigkeit

Die seit zwei Jahren zu beobachtende intensive Diskussion vor allem bei den jungen Menschen um diese Fragen muß man, so glaube ich, zurückführen auf die tiefe Verzweiflung gerade der jungen Generation über unsere Welt, die voll Gewalt, Krieg und millionenfachen gewaltsamen Tod ist. Aus dieser Verzweiflung kommen sowohl die Argumente und Bekenntnisse für die Gewalt wie auch für die Nichtgewalttätigkeit. Sie erklärt auch die Leidenschaftlichkeit, mit der diese Diskussion bisweilen geführt wurde und bei der immer wieder und vor allem von den großen Manipulateuren im Dienste der Herrschenden bewußt übersehen und verschwiegen wird, daß es beiden Gruppen um das gleiche Ziel geht: um die Veränderung der bestehenden Zustände in Richtung eine menschlichere Welt.

Die folgenden Bemerkungen sollen deshalb nicht im Sinne eines theoretischen Beitrags zur Gewalt-Diskussion aufgefaßt, sie sind vielmehr nur der Versuch einer Orientierungshilfe, bezogen ausschließlich auf die Haltung und die Politik der DFG-IDK.

Sowohl in unserer Satzung wie auch im Programm sind wir als Deutscher Zweig der WRI (War Resisters International) an deren<17> Grundsatzerklärung gebunden. Diese Erklärung — das ist übereinstimmende Meinung in der Gesamt-WRI — begründet weder einen dogmatischen Pazifismus noch eine irgendwie geartete absolute Gewaltlosigkeit, wie manchmal vermutet wird. Das also ist nicht von uns gefordert, und dazu haben wir uns mit unserer Unterschrift unter die WRI-Erklärung auch nicht verpflichtet.

  1. Wer sich zur WRI-Grundsatzerklärung bekennt, verpflichtet sich zu politischem gesellschaftsveränderndem Handeln mit dem Ziel, den Krieg in all seinen Formen durch Beseitigung seiner konkreten Ursachen in allen Bereichen von Politik, Wirtschaft, Technik, Forschung und Gesellschaft, aber ebenso im individuellen Bereich, aus der Welt zu schaffen.

  2. Wer sich zur WRI-Grundsatzerklärung bekennt, wird bei diesem Kampf in Konsequenz und Übereinstimmung mit seinem moralischen Wollen bewußt und freiwillig auf die Mittel, Methoden und Praktiken der tötenden und zerstörenden Gewalt verzichten, die den Krieg zum Verbrechen an der Menschheit machen.

  3. Wer sich zur WRI-Grundsatzerklärung bekennt, wird sich allen Menschen verbunden fühlen, die den gleichen Kampf führen. Er wird ihnen über die Ländergrenzen hinweg solidarisch zur Seite stehen und ihnen helfen. Er wird ihre Zielsetzungen unter den gegebenen historischen Bedingungen als notwendig begreifen, auch wenn er nicht in der Lage ist oder sich außerstande sieht, die Mittel zu akzeptieren, die sie anwenden.

  4. Wer sich zur WRI-Grundsatzerklärung bekennt, wird niemals jene Unglücklichen moralisch verurteilen, wenn sie infolge übergroßer persönlicher oder gesellschaftlicher Not, übermenschlichen Leidens, kollektiver Demütigung oder lebensbedrohenden Hungers, politischer Unfreiheit, Folter, Ausbeutung und Elends ihr Schicksal durch Gewalt zu bessern suchen, wenn alles andere vor der sie bedrohenden tötenden Gewalt, zumal im Dienste politischer Unterdrückung, unwirksam blieb.

Konsequenter, radikaler Pazifismus war nie unpolitisch, selbstgerecht, pharisäerhaft und intolerant. Es kommt ihm niemals auf die Vernichtung, immer nur auf die Überwindung und Gewinnung des politischen Gegners an. Er kennt keine moralische Neutralität. Menschen dieser Haltung lassen sich, wie Gandhi es einmal formulierte, lieber in Stücke reißen als sich von den unterdrückten Klassen zu trennen.

Anmerkungen

Zu Seite 14: 1 War Resisters’ International, Dachorganisation von Kriegsdienstgegner-Organisationen und Pazifisten mit Sektionen in vielen Ländern der Welt. Die Mitglieder der „War Resister’ International“ bekennt sich zu folgenden Grundsatzerklärung: Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.

Zu Seite 18: 1 Deutsche Friedensgesellschaft-Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG-IDK) hervorgegangen aus einem Zusammenschluß von DFG und IDK 1968, 1974 durch Vereinigung mit dem Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) zur Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) verschmolzen.

2 Pfingsten 1970 führte die DFG-IDK einen Kongreß unter dem Motto »Jugen gegen Kriegsdienst« durch. An ihm nahmen mehr als 1000 Kriegsdienstgegner teil und formulierten in Arbeitsgruppen Perspektiven und Aufgaben ihres Engagements.

Die Existenzfrage für alle Völker ist gestellt

Die Ziele und Aufgaben des politischen Pazifismus

Pazifistisches Denken und Handeln im Rahmen unserer Organisation1 richtete sich immer auf die Herstellung oder Herbeiführung von Bedingungen für Völkerfrieden durch Überwindung des Krieges.

Wir blicken heute auf eine über 85jährige Verbandsgeschichte zurück und damit auf die Geschichte des Pazifismus der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG). Wir haben begonnen, diese Geschichte mit ihren kontroversen Diskussionen, Modellen und unterschiedlichen Konzeptionen aufzuarbeiten. Einige Arbeiten sind schon erschienen, weitere werden folgen.2

Ich kann im Rahmen dieses Referates leider nicht auf die einzelnen Arten und Formen des Pazifismus der DFG eingehen, weder auf den »organisatorischen Pazifismus« von A. Fried noch auf den »völker- rechtlichen Pazifismus«, der mit den Namen von Wehberg und Schücking verbunden ist — und auch nicht auf den sogenannten »demokratischen Pazifismus«, der einen seiner profiliertesten Vertreter in Ludwig Quidde hatte; hierzu muß ich auf die erwähnten Veröffentlichungen verweisen.

Was jedoch festgehalten werden muß, im Zusammenhang mit unse-rem Thema, sind die folgenden Feststellungen:

1. Daß der DFG-Pazifismus in der zeitlich kurzen Phase von der Gründung bis etwa zur Jahrhundertwende sich als Kulturbewegung versteht und insofern als »unpolitisch« angesehen werden kann, als er die Abschaffung des Krieges als Gebot der Religion, der Sittlichkeit und der allgemeinen Volkswohlfahrt erkennt; mit anderen Gruppierungen teilt er den für diese Zeit typischen optimistischen Fortschritts- glauben und betont sogar noch den rein humanitären, unpolitischen Charakter der Gesellschaft. Gleichwohl stehen Völkerfriede und sittlich begründete Kriegsgegnerschaft im Mittelpunkt des Verbandslebens, was ihr eine Sonderstellung einräumt: Denn von den anderen Gruppen der Kultur- und Fortschrittsbewegung wird anerkannt, daß erst die Überwindung des Krieges die erstrebte Höherentwicklung des Menschengeschlechts ermögliche.

Zugleich aber, erkennbar um die Jahrhundertwende, beginnt der Pazifismus der DFG sich zu politisieren. Dieser Prozeß, noch heute aktuell, entzündet sich als Prioritätenstreit am Problem der Abrüstung in der Frage: »Was zuerst?« Zuerst Abrüstung, weil die vorhandenen und rapid steigenden Rüstungen jeden Konfliktfall zwischen den<20> souveränen Staaten zu einem Krieg machen können — oder zuerst friedliche Konfliktregelungsmechanismen zwischen den Staaten auf- bauen, durch Schiedsgerichte, und möglichst dichte Interessensverflechtungen zwischen den souveränen Staaten herstellen, um den hohen Grad an Mißtrauen abzubauen? — Als Voraussetzung für allgemeine Abrüstung.

Mit dieser Kontroverse, die dann in einem Kompromiß aufgelöst wurde (beides zugleich in Angriff nehmen), beginnt der DFG-Pazifismus politisch zu werden. Er ist es geblieben, bis heute.

2. Die Schwerpunkte dieses ersten politisch agierenden Pazifismus waren zum einen außenpolitisch fixiert, als versucht wurde, die Kriegsgewalt und den Krieg als Ultima Ratio im Völkerleben durch Rechtsinstitutionen abzulösen — auch diese Strategie ist bis heute aktuell —, zum anderen wird in der Rüstung, in der »Überrüstung« und im Wettkampf die nicht zu überschätzende Kriegsgefahr erkannt und leidenschaftlich bekämpft — allerdings ohne die im System der imperialistischen Staaten liegenden Staaten voll zu erfassen.

Der geistige Kern, aus dem sich die Energien des politischen Pazifismus speisen, ist vernunftbetont, aber ohne auf die Emotion zu verzichten, er ist von hohen Moralvorstellungen geprägt und am einfachen Sittengesetz orientiert.

Die von ihm vorgelegten Konzepte für Abrüstung sind die umfassendsten zu jener Zeit. Die Denkschriften und Modelle für die Idee des Rechtes anstelle der Gewalt, wie sie von der DFG vorgelegt wurden, finden die Anerkennung und Würdigung der Weltöffentlichkeit (Nobelpreise) — aber alles stößt ebenso hart auf die Kritik, Ablehnung und Feindschaft der national-imperialistischen und deutsch-nationalen Kreise.

Nicht zuletzt in Folge dieser unversöhnlichen Feindschaft wurde der Politisierungsprozeß vorangetrieben. Wir können heute sagen, daß sich ausgehend von der DFG vor dem Ersten Weltkrieg auf rein pazifistischer Grundlage ein bürgerlicher Antimilitarismus entwickelte, der bereits alle Elemente einer antimilitaristischen Strategie enthält, wie sie heute im Kampf gegen den militaristisch-industriellen

Komplex aufgebaut und vertieft — verwendet werden. Auch die Erkenntnis, daß der Friedensgedanke der Unterstützung breiter Volksmassen bedürfe, um durchgesetzt werden zu können, ist ebenso vorhanden wie die Überlegung, daß Rüstungseinschränkung, Rüstungsstillstand und schließlich Abrüstung nicht gegen das Militär, sondern nur mit Hilfe des Militärs sich durchsetzen wird.

Der politische Pazifismus der DFG bezieht auch schon die Kriegstechnologie<21> und die Vernichtungswirkungen der Waffensysteme in die Analysen ein und sollte mit seinen Prognosen für den Kriegsfall auf furchtbare Weise recht behalten.

Gemäßigter, radikaler, konsequenter Pazifismus

Unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges, besonders der Erfah- rungen seiner massenhaften Menschenschlächterei durch Maschinen- waffen, durch Giftgas, Flammenwerfer —, der langen Dauer dieses Schlachtens, der Millionenzahl der Toten und Krüppel, der Ausdeh- nungen über die ganze Erde mit unvorstellbaren Notlagen, Hunger und Entbehrungen bei Siegern wie Besiegten, vollzog sich ein Prozeß der Radikalisierung im deutschen politischen Pazifismus. Während zunächst noch über einen längeren Zeitraum hinweg die gemäßigten Pazifisten — so genannt wegen ihrer Mäßigung hinsichtlich Forde-rungen an den Staat wie an sich selbst — ihre Versuche nicht aufgaben, die vor dem Krieg gescheiterten Konzepte der Kriegsverhinde- rung durchzusetzen, und damit teilweise Erfolg hatten, bildeten sich parallel zu ihren Bemühungen Strömungen und Gruppen heraus, die sich zur bedingungslosen Kriegsdienstverweigerung bekannten. Sie vertraten einen strikt ethischen Standpunkt von der absoluten, unantastbaren Heiligkeit des Lebens. Ihrer Auffassung nach hat das System der allgemeinen Wehrpflicht dem Krieg erst seinen massen- mordenden Charakter verliehen, und sie erblickten in der direkten politischen Aktion, als deren Träger sie sich selbst mit der Methode des gewaltfreien Kampfes ansahen und auch einsetzten, den besten Ansatz.

Während die gemäßigten Pazifisten auch noch weiterhin für das Recht des Staates auf militärische Verteidigung eintraten, bestritten die radikalen Pazifisten dem Staat jedes Recht, über das Leben seiner Bürger zu verfügen: seine oberste Aufgabe sei Schutz des Lebens, nicht Vernichtung des Lebens.

Von besonderer Bedeutung für den radikalen Pazifismus wie auch für die Strategien des gewaltfreien Antimilitarismus ist die Grundsatzerklärung der Internationale der Kriegsdienstgegner, 1921 gegründet, die auch heute noch für uns gültig und verbindlich ist. Sie formulierte sowohl die ethische Grundhaltung als auch die Methoden und die Zielsetzung des von der DFG-VK heute verkörperten politischen Pazifismus:

Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Wir sind daher<22> entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und für die Beseitigung aller seiner Ursachen zu kämpfen.

Der konsequente, politische Pazifismus, den wir heute als DFG-VK vertreten, ist hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit wie auch seiner politischen Wirkung abhängig von der Konsequenz, mit der wir die Grundsatzerklärung der War Resisters’ International zu verwirklichen suchen.

Anders gesagt, der konsequente Pazifismus, der heute, vier Jahre nach dem Zusammenschluß die DFG-VK kennzeichnet und in den alle wesentlichen Elemente des gemäßigten politischen Pazifismus wie auch diejenigen des ethisch-moralisch motivierten Radikalpazifismus eingeflossen sind und zur Synthese gebracht worden sind, wird in dieser politischen Qualität und gesellschaftspolitischen Relevanz an der Treue gemessen, mit der wir an dieser Grundsatzerklärung als Leitlinie offensiver politisch-pazifistischer Arbeit festhalten.

Denn diese Erklärung beschreibt, wie vor 57 Jahren auch, für uns heute die Hauptaufgabe. Nur mit dem Unterschied, daß die politische Lösung dieser Hauptaufgabe — Kriegsverhinderung und Abrüstung — heute zur Existenzfrage für alle Völker dieser Erde geworden ist. Zur Existenzfrage vor allem deshalb, weil im kommenden Krieg, sofern es nicht verhindert werden kann, Vernichtungssysteme zur Anwendung kommen werden, deren tötende und zerstörende Wirkungen in Raum und Zeit unbegrenzbar sind — das heißt, dem Willen des Menschen entzogen sein werden. Diese Vernichtung trifft das Leben im Lebendigen und zerstört es. Und nicht nur das menschliche Leben. Ebenso die Tier- und Pflanzenwelt. Auch für diese, menschliches Dasein ermöglichenden Welten ist die Existenzfrage gestellt...

Ein kluger Mann hat vor einiger Zeit gesagt, daß die Wasserstoff- bombe das »erste logische Argument« des Pazifismus darstelle. In der Tat: Statt zu jammern oder gegen den Atomkrieg zu deklamieren, empfiehlt es sich, der Physik einer H- oder Neutronenbombe adäquate logische Fragen an Atompolitiker zu stellen, wie man sich eigentlich gegen die radioaktive Strahlung eines Isotops mit einer Halbwertzeit von 6000 oder 29 Jahren verteidigen kann.

Aber dies nur so dazwischen. Ich wollte nur den politisch-militärischen Hintergrund ein wenig aufhellen, vor welchem die Grundsatzerklärung heute, 1978, zu lesen ist.

Dazu einige Bemerkungen, die mit der eingangs erwähnten Absicht wie auch mit den Aufgaben des politischen Pazifismus zusammenhängen.<23>

Zur Gewaltfrage

Der Gewaltbegriff, den die WRI-Grundsatzerklärung intendiert, bezieht sich eindeutig auf Kriegsgewalt. Da diese ihrem Wesen nach immer tötende und zerstörende Gewalt ist, verpflichtet uns das grundsätzlich gegen Gewalt gerichtete Prinzip des politischen Pazifismus, für politische Verhältnisse zu kämpfen, die diese Gewalt eingrenzen, zurückdämmen und schließlich überflüssig machen. Das Gleiche gilt für die Ursachen. Es bezieht sich auf innerstaatliche wie zwischen- staatliche Ebenen.

Strukturelle Gewalt ist immer und in jedem einzelnen Fall passiv oder aktiv bewirkte Zerstörung der Psyche oder der Physis von Menschen, ihrer Lebensumstände und/oder ihrer Lebensgrundlagen. Aus dem gleichen Grund, wie vorhin gesagt, sind wir deshalb verpflichtet, die vielfältigen Ursachen und Verursachungen struktureller Gewalt zu erkennen und zu beseitigen. Die Herbeiführung von Zuständen sozialer Gerechtigkeit als einer Hauptbedingung für Frieden überhaupt gehört deshalb konstitutiv zum konsequenten politischen Pazifismus.

Das übergeordnete politisch-moralische Ziel der Verhinderung offener bzw. Beseitigung latenter Kriegsgewalt und struktureller Gewalt kann nicht mit Gewalt erreicht werden. Mittel und Ziel müssen einander entsprechen. Dies ist auch so im Programm und den Statuten festgelegt. Es wäre aber zu prüfen, ob die dort verwendeten Formeln von den »gewaltlosen Mitteln« nicht durch den Begriff der Gewaltfreiheit ersetzt werden sollten. Ich meine, daß dies die Möglichkeit des Menschen — frei von Gewalttätigkeit durch Verzicht auf Gewalt — zutreffender beschreibt, zumal feststehen dürfte, daß es die »Gewaltlosigkeit« im Bereich der belebten Natur nicht geben kann.

Der politische Pazifismus der DFG-VK ist also gekennzeichnet durch politisches Handeln mit dem Ziel der Beseitigung von offener und latenter Kriegsgewalt ebenso wie der strukturellen Gewalt. Diese Politik ruht auf dem ethisch-moralischen Entschluß des Handelnden, für sich selbst und in der Aktion auf Gewalttätigkeit zu verzichten. Ein Ausdruck hierfür ist die Kriegsdienstverweigerung, die ihrem Wesen nach Verzicht auf staatlich geforderte und geförderte Gewalttätigkeit darstellt und insofern Friedensdienst ist.

Wie wäre nun demgegenüber der Antimilitarismus einzuordnen?<24>

Militarismus, Antimilitarismus, Pazifismus

Unter Militarismus versteht man landläufig, weil es bislang noch keine allgemein verbindliche Definition oder Theorie darüber gibt, die Dominanz des Militärischen über das Politische. Wo dies geschieht, wird von der Militarisierung als einer automatischen Folge gesprochen. Wenn wir also von einer Militarisierung des Grundgesetzes der Bundesrepublik sprechen, z. B. in der Beurteilung des letzten Karlsruher Urteils3, so deswegen, weil sich die höchsten Richter von rein militärischen und rüstungspolitischen Überlegungen bei ihrer Urteilsfindung leiten ließen. Hinter dem Wort von der Militarisierung des Planeten steht die erkennbare Beschlagnahme aller Land- und Wassermassen, des erdnahen Luftraumes wie der Stratosphäre oder des Weltraums für militärische Zwecke; die Militarisierung des Bildungswesens, der Industrie oder des allgemeinen Bewußtseins der Menschen besteht in der Durchdringung, Überfremdung und Zersetzung mit militärischen Imperativen, militärischen Denkformen und Strukturen. Wenn Richard Barnet sein Buch »Der amerikanische Rüstungswahn« mit dem erklärenden Untertitel »Die Ökonomie des Todes« versieht, so will er auf zweierlei hinweisen, einmal auf die nicht mehr bestreitbare Tatsache, daß die Gesellschaftsstrukturen der USA voll durch- militarisiert sind und daß zweiten diese totale Überfremdung des zivilen kulturorientierten Lebens durch das Militärische, dessen Daseinszweck ja die Destruktion ist, letztlich zum Tode führt.

Es wäre nun ein Irrtum, zu glauben, daß es nur die Militärs, die Soldaten sind, von denen Militarisierung ausgeht oder die allein verantwortlich zu machen wären. Militarisierung geht ebenso erkennbar wie wirkungsvoll von zivilen Ministerien wie von Wissenschaftlern und Forschern der Rüstungsindustrie aus, sofern sie sich freiwillig und unwidersprochen den Erfordernissen militärischer Operationsplanungen unterwerfen.

Die bekannteste Militarismusanalyse lieferte Karl Liebknecht, der den preußisch-deutschen Militarismus untrennbar mit dem Kapitalismus und dem Imperialismus verbunden sieht, sie als deren Wächterhund erkennt, der erst dann überwunden werden könne, wenn seine Herrschaften beseitigt sind. Daß dies nur durch den Sieg des Sozialismus geschehen könne, war für Liebknecht als Marxisten selbstverständlich.

Gegen den Militarismus und alle Erscheinungsformen der Militarisierung<25> als extrem friedensgefährdende Komplexe machen Antimilitaristen und Pazifisten gemeinsam Front.

Und das ist auch vollkommen richtig und gut, sofern feststeht — und dies halte ich für einigermaßen wichtig —, daß die Antimilitaristen in der Zielsetzung ihres Kampfes voll übereinstimmen mit denen der Pazifisten. Es wird jedoch kritisch, wenn sie hinsichtlich der Mittel und Methoden dieses Kampfes unterschiedliche Auffassungen haben. Das extremste Beispiel sind hier jene »Antimilitaristen«, die eigens zu dem Zweck in die Armee eintreten, um das sogenannte Waffenhandwerk zu erlernen zum Zweck der Beseitigung des Militarismus im Volkskrieg, — was immer sie sich darunter vorstellen.

Im Interesse einer klaren politisch-psychologischen Kontur unserer Organisation in diesem Zusammenhang möchte ich ferner darauf hinweisen, daß der Begriff des Antimilitarismus äußerst vieldeutig geworden ist (zumindest im deutschen Sprachgebrauch), und zwar durch die von Militaristen zu verantwortenden Kriege und Kriegsverbrechen. Schon nach dem Ersten Weltkrieg, erst recht aber nach dem Zweiten, übernahmen militärische Kreise sehr viele Begriffe und Wortwendungen der Friedensbewegung, natürlich, um sich zu tarnen. Zugleich aber, auch dies müssen wir sehen, wurde der weitverbreitete Gesinnungsmilitarismus, für den der Krieg ein Element in Gottes Schöpfung und »Vater aller Dinge« war, unter dem Eindruck von Hiroshima, Dresden, Vietnam zerstört. Während sich der Pazifismus aus den gleichen Gründen radikalisierte und das Prinzip konsequenter Gewaltfreiheit verinnerlichte, reduzierte sich der Gesinnungsmilitarismus nur zu einem »instrumentalen Militarismus«, der sich ebenfalls als »Antimilitarismus« tarnt. Ich nenne ihn »instrumentalen Militarismus«, weil er Kriegsgewalt nach wie vor — hierbei durchaus in den Kategorien des voratomaren Zeitalters denkend — zur Erreichung politischer Ziele einsetzen will — und wird.

Meist ist dieses Ziel durch die Begriffe »Verteidigung«, »Friedenssicherung durch Abschreckung« oder schlicht Frieden gekennzeichnet. Ich persönlich jedenfalls habe noch nie einen Jugendoffizier kennengelernt, der sich nicht selbst als Antimilitaristen gesehen hätte. Den gleichen instrumentellen Militarismus, vielfach in der Tarnkappe des Antimilitarismus, vertreten übrigens passiv und aktiv alle im Bundestag vertretenen politischen Parteien, die Kirchen, die Gewerkschaften etc. einschließlich einer Mehrheit der Bevölkerung. Daß sich dieser Sachverhalt im Bereich des Warschauer Paktes spiegelbildlich wiederfindet, macht ihn nicht unproblematischer. Für uns als konsequente politische Pazifisten ist antimilitaristische Arbeit eine Variante innerhalb<26> der Gesamtstrategie. Sie richtet sich gezielt und spezifisch gegen die Ursachen der Militarisierung auf allen Lebensgebieten. Weil aber kein Pazifismus denkbar ist, der nicht logischerweise den Antimilitarismus beinhaltet, sollten wir aus den geschilderten Gründen mit diesem Begriff sparsam umgehen bzw. ihn nicht ohne den Begriff Pazifismus verwenden.

Ich persönlich bin der sicheren Überzeugung, daß unter der Flagge des politischen Pazifismus mehr Streiter für den Frieden zu sammeln sind als unter der eines vieldeutigen Antimilitarismus.

Ich halte die ständige Betonung der offensiven Gewaltfreiheit, die aktiv auf Veränderung und Beseitigung der von Gewalt dominierten und durchsetzten Verhältnisse drängt, innen- wie zwischenstaatlich, für fundamental wichtig. Denn wo anders wird die einzig denkbare Alternative zum Kriegssystem und zu den strukturellen Gewaltverhältnissen deutlicher, für den Mitbürger klarer, erkennbarer als dort, wo sich Menschen mit ihren Organisationen der doppelten Moral des Staates widersetzen, wo sie für die Deckungsgleichheit von Politik und Moral kämpfen?

Martin Buber hat diese Problematik auf den Begriff gebracht, als er auf die Frage von C. F. von Weizsäcker (nach dem Göttinger Appell der 18), warum fast alle Friedensappelle so häufig ohne politische und soziale Wirkung bleiben, zur Antwort gab: Weil hinter ihnen meist nicht die persönliche Entscheidung steht, so zu denken und zu handeln, wie es Geist und Wortlaut der Friedensappelle im Grunde fordern.

Wir können dieses Auseinanderfallen von Wort und Tat, von Gesinnung und Verantwortung jeden Tag beobachten, und wir können ziemlich sicher sein, daß der größte Teil derjenigen, die für uns die Verantwortung zu tragen vorgeben, zwar den Krieg nicht wollen, aber ebensowenig die Abrüstung, von der sie ständig sprechen. Was sie wirklich wollen, praktizieren sie auch — die extensive Kriegsvorbereitung —, und dies aus Gründen gruppenegoistischer Natur wie Profit, Macht, Einfluß etc. Ihre Hauptbegründung, durch Rüstung und Verteidigungsbereitschaft den Krieg verhindern zu wollen, ist bestenfalls eine subjektive Illusion, schlimmstenfalls ein Verbrechen gegen die Menschheit.

Die Gefahr, politisch unwirksam zu werden oder das Spiel der Militaristen mitspielen zu müssen, wenn das Prinzip der Gewaltfrei- heit bzw. die Ethik der Nichtgewalttätigkeit aufgegeben wird, hat die Friedensbewegung, in deren Tradition die DFG-VK heute steht, zweimal erfahren müssen. Einmal zwischen den Weltkriegen, als die<27> Richtung des sogenannten revolutionären Pazifismus für die Gewalt (in Revolution und Befreiungskriegen) plädierte, — woraufhin durch den Austritt eines großen Teils der gewaltfreien politischen Pazifisten eine spürbare Schwächung der DFG eintrat.

Zum zweiten Mal geschah dies Ende der 60er Jahre, als im Ergebnis einer intensiven Diskussion über Brauchbarkeit und Erfolgsaussichten des Prinzips der Gewaltfreiheit im politischen Kampf sich eine starke Gruppierung durchsetzte, die ähnlich den instrumentalen Militaristen der Gewalt eine erfolgversprechende Rolle bei Erreichung der Ziele einräumte und den Verband seinerzeit in ein organisatorisches Chaos stürzte, d.h. den Verband als Instrument im politischen Kampf für eine längere Zeit außer Gefecht setzte.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal deutlich machen, daß das im Wortsinn lebensnotwendige Prinzip der Gewaltfreiheit, welches sich ja ursprünglich aus rein religiösen und humanitären Antrieben entwickelte, durch die quantitative und qualitative Explosion der Kriegstechnik als einzige Überlebensmöglichkeit bestätigt wurde. Die den totalen Untergang allen Lebens bewirkende technisch- wissenschaftliche Logik der Massenvernichtungsmittel schuf gleichzeitig die logische Dimension, die dem politischen Pazifismus bisher fehlte. Jedenfalls bis 1950. Was aber hiermit zusammenhängend noch viel zu wenig gesehen wird von uns, das ist die damit verbundene nationale Nachvollziehbarkeit der ethischen Position und der Begründung des politischen Pazifismus, wie wir ihn vertreten — und zwar für jedermann.

Infolgedessen muß auch niemand, der den Forderungen und Zielen des politischen Pazifismus zustimmt, selbst Pazifist sein oder werden. Das ist eine wichtige Einsicht in den Fragen der Bündnispolitik. Da es nicht unser Verdienst ist, von der Kriegsgeschichte und der Waffentechnologie in der Richtigkeit unserer Grundsätze und Wertvorstellungen bestätigt worden zu sein, müssen wir mit aktiver Toleranz reagieren.

Die Trennungslinie zwischen unseren Positionen und denen, die entgegen der auch ihnen möglichen Einsicht in die Logik der Vernichtung den Krieg in Europa weiterhin vorbereiten, verläuft dennoch zwischen Vernunft und Wahnsinn, zwischen Moral und Unmoral, zwischen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit. Wenn der Krieg ein Verbrechen an der Menschheit ist, dann ist auch seine Vorbereitung ein Verbrechen, weil keine noch so moralische oder nützliche Begründung, kein noch so ausgeklügeltes strategisches Sicherheitsgefühl verhindern wird, daß der Vorbereitung auch der Krieg selbst folgt.

Die Hauptursache für den Krieg war immer, und ist auch gegenwärtig, seine materielle Vorbereitung und seine psychologische Einübung, die selbst wieder vielfältig verursacht sind. Die Diskussion einer solchen Prämisse halte ich mit Blick auf die erfolgreiche Bewältigung der Aufgaben des politischen Pazifismus für sehr wichtig.

Aufgaben des politischen Pazifismus heute

Es ist eine alte Erfahrung der Friedensbewegung, daß die Realisierung von Interessen um so schwieriger ist, je allgemeiner sie sind. Es wird deshalb nützlich sein, das Allgemeininteresse mit dem Namen Frieden nach Schwerpunkten aufzufächern, handlicher zu gestalten, und zwar für die Zwecke unserer Arbeit als politische Pazifisten in diesem Land.

Dabei möchte ich mich auf die politische Entspannung, die Abrüstung, Kriegsdienstverweigerung und die internationalen Aspekte der Arbeit konzentrieren.

Zur politischen Entspannung

Die Vorstellung, daß einer Beseitigung der Hauptkriegsursache, der Rüstung auf allen Seiten, eine Periode politischen Vertrauens voraus- gehen müsse, ist nicht neu. Sie wurde schon mit den Strategien der Deutschen Friedensgesellschaft vor dem 1. Weltkrieg angestrebt. Diese zielten darauf ab, durch eine möglichst innige Verflechtung der Volkswirtschaften, durch damit verbundenes besseres Kennenlernen wie durch handfestes Aufeinanderangewiesensein ein bestehendes Mißtrauen abzubauen. Als weitere friedensfördernde Methoden schlugen sie Vereinbarungen vor, wonach durch überstaatliche Organisationen die bestehenden und entstehenden Konflikte zwischen souveränen Nationalstaaten auf friedliche Weise, d. h. auf dem Wege von Rechtsentscheidungen, zu regeln seien. Nach einer gewissen Zeit, das waren die Hoffnungen, würde sich das System Fen im zwischenstaatlichen Leben ebenso einbürgern, wie das schon innerstaatlich bei allen europäischen Staaten der Fall war. Die Abrüstung als ersten Schritt oder als Voraussetzung für zwischenstaatliches Vertrauen hielt man für wenig erfolgversprechend, da eine freiwillige Entwaffnung das Sicherheitsbedürfnis der Staaten überfordern müsse. Geschichtlich hatte es ja bis jetzt immer nur die Entwaffnung des Besiegten durch den Sieger gegeben - insofern gab es sehr starke

Widerstände, bis in die Reihen der Friedensbewegung selbst, gegen die Priorität der Entmilitarisierung. Erst als sich klar erkennen ließ, daß die sich steigernde Rüstung nicht nur die erreichten Erfolge in der politisch-ökonomischen Friedenssicherung zunichte machte, sondern daß die Kriegsgefahr selbst durch Wettrüsten verursacht, immer größer wurde, verfuhr die DFG zweigleisig: Entspannung und Abrüstung. Aber es war schon zu spät. Der jederzeit mögliche Griff zum Schwert, noch dazu altvertraut und als des aufrechten Mannes und Gottes Wille verherrlicht, löste den Weltkrieg aus.

Die vielfältig abgeschlossenen Verträge, Abkommen und Pakte mit dem Ziel, den Frieden zu bewahren, erwiesen sich ausnahmslos als unwirksam. Das Papier, auf dem sie geschrieben waren, wurde von den Marschkolonnen in den Staub getreten — bildlich gesprochen.

Wir haben heute zwar im internationalen Panorama andere Konstellationen, es gibt nicht nur kapitalistische, sondern auch sozialistische Staaten, und wir blicken zurück auf die unvorstellbaren Greuel zweier Weltkriege — im Unterschied zur DFG von 1909 oder 1913, für die der siegreiche Krieg von 1870/71 eher hinderlich war in ihrer Öffentlichkeitsarbeit, zumal mit ihm die Reichseinheitlichkeit erzwungen war.

Aber wir stehen im Grunde vor der gleichen Problematik, die in einzelnen Zügen sogar erschreckende Parallelen aufweist. Aber es gibt ebenso Unterschiede, im negativen wie im positiven. Zu den positiven Unterschieden rechne ich die Tatsache, daß es gelungen ist, das Prinzip der politischen Entspannung aus der Theorie in die politische Praxis zu überführen, und daß es gelungen ist, das Modell der friedlichen Koexistenz zwischen souveränen Staaten (ich vereinfache hier absichtlich, um das Wesentliche zu herauszuarbeiten) als friedensförderlich zu etablieren. Positiv zu werten ist ferner, daß unter dem Eindruck der Kriege und der Kriegstechnologie der Friedenswille ernster und ehrlicher und die Zahl der sich aktiv für den Weltfrieden einsetzenden Menschen um ein Millionenfaches größer ist — daß man sich in zwischen-staatlichen Bemühungen auf vertraglichen Gewalt- verzicht ebenso einigen konnte wie auf erste Versuche, das Wettrüsten in den kriegsentscheidenden Waffen nach oben zu begrenzen.

Zu den negativen Unterschieden — die sich aber positiv auswirken können — rechne ich die Tatsache, daß es keine Friedensarbeit mehr geben kann, falls es auch dieses Mal zum Krieg kommt, daß nicht noch einmal begonnen werden kann, wenn der Krieg zu Ende sein wird, daß wir alle, ob Pazifisten, Militaristen, Normalbürger, kurz, alle Lebenden dazu verurteilt sind, die Kriegsverhinderung in absehbarer

Zeit zu bewerkstelligen. Aus der Tatsache, objektiv die letzten Generationen in der Geschlechterkette sein zu können, bürdet sich gerade uns eine schier unerträgliche Last der Verantwortung auf. Wir können ihr nur genügen durch Erhöhung unserer Anstrengungen und Verbesserung unserer Arbeit.

Die Parallelen zur Situation vor 1914 und auch 1933 sind dadurch gekennzeichnet, daß wir begriffen haben: Es gibt keine dauerhafte Entspannung ohne gleichzeitigen Abbau der Rüstung, der Gewaltpotentiale aller Art. Der jederzeit mögliche Griff zur Kriegsgewalt muß unmöglich gemacht werden: entweder dadurch, daß die Hand, die zur Neutronenbombe greifen will, zum Verdorren gebracht wird — das wären die gesellschaftlichen Veränderungen, oder es bedeutet die Beseitigung der Bombe, also Abrüstung.

Wir befinden uns in einer Phase des politischen Friedenskampfes insofern, als es jetzt darauf ankommt, die Ergebnisse und wirklichen Errungenschaften der politischen Entspannung zu verteidigen. Ich muß nicht ausführen, wodurch sie in zunehmendem Maße in Gefahr geraten sind, das ist bekannt. Es ist das fortgesetzte Wettrüsten der führenden Militärstaaten, die zunehmende Militarisierung der Dritten Welt mit ihren Konflikten, die Gefahr des Übergreifens lokaler Kriege auf das zentrale Einflußgebiet der Großmächte, durch ständige Verbesserung der konventionellen wie atomaren Waffensysteme, ihrer Zielgenauigkeit und Unverwundbarkeit. Wenn irgendetwas die verbalen Bekenntnisse der Militaristen in der NATO zum Frieden oder zur Abrüstung Lügen straft, dann ist es das Langzeitprogramm für Rüstung, welches eine Woche nach der Sondertagung der UNO über Abrüstung in Washington beschlossen wurde. Hier, allein durch dieses Gangsterstück des internationalen Militarismus wird klar, wo die wirklichen Feinde des Friedens und des Menschengeschlechtes stehen. Sie unschädlich zu machen, ist ebenso erlaubt wie geboten. Und die sicherste Methode, ihnen das Handwerk zu legen, besteht darin, ihnen die Mittel ihrer Macht und ihres Einflusses zu nehmen. Die sicherste Methode heißt Abrüstung.

Wir haben in der Vergangenheit und auch auf diesem Kongreß die Abrüstung als die wichtigste Zielvorstellung, als die Jahrhundertaufgabe angesehen und diskutiert. Sie ist es wirklich, und trotz der bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die anzuwendenden Taktiken und Strategien im Kampf um Abrüstung sollten wir einig sein in der Erkenntnis, daß jede Bemühung um Abrüstung von sehr großem Wert bei der Verteidigung und der Erhaltung der politischen Entspannung ist. Wer mir hier nicht zustimmen kann, den bitte ich<31> herzlich, sich sein Leben und vor allerm, seine politischen Arbeitsmöglichkeiten einmal unter den Bedingungen des 2. Kalten Krieges vorzustellen, der kommen wird, wenn das Wettrüsten die Entspannung erwürgt haben wird. Der Spruch von Karlsruhe hat schon erkennen lassen, wohin die Reise geht, das Langzeit-Aufrüstungsprogramm ist schon unterwegs. Wer nicht erleben will, wegen seiner Forderung nach Abrüstung als Staatsfeind behandelt zu werden, muß jetzt handeln. Schon immer wußten wir, daß gesellschaftliche Veränderungen oder politische Ziele durch individuellen guten Willen nicht erreichbar sind, sondern nur und ausschließlich durch kollektives, organisiertes Handeln. Die gefährdete Entspannung erfordert diese Solidarität.

Zur Abrüstungsstrategie

In dieses kollektive Handeln beziehe ich ausdrücklich die Bürgerschaft unseres Landes ein, und ich möchte jetzt, statt allgemeiner Überlegungen zum Abrüstungsproblem, einige, vielleicht ungewohnte Gedanken vortragen. Ausgehend von der Tatsache, daß die Frage der Abrüstung überall, in allen Gremien immer dringender gestellt wird, ferner, daß es nirgendwo mehr ernsthaften Widerspruch gegen die Forderungen — wohlgemerkt Forderungen — nach Abrüstung gibt, sowie unter Berücksichtigung der positiven Übereinstimmung hinsichtlich der Prämissen und Kriterien für allgemeine Abrüstung, die sich schritt- weise vollzieht, wäre zu überlegen, ob wir den Hebel zur Mobilisierung einer breiten Öffentlichkeit nicht doch noch einmal beim Kontrollproblem anzusetzen hätten. Für viele Freunde, die mich und diesen Gedanken kennen, ist dies vielleicht ein alter Hut oder unrealistisch oder uninteressant. Aber wir haben diesen Gedanken programmatisch festgehalten als »Abrüstung unter demokratischer Kontrolle« und haben ihn nicht weiterverfolgt. Wenn ich heute auf ihn zu sprechen komme, so vor allem, weil wir trotz aller Bemühungen da: Wettrüsten noch nicht beenden konnten — mit »wir« meine ich im Grunde die Weltöffentlichkeit — und deshalb dringend auf neu Abrüstungsstrategien, die diesen Namen auch verdienen, angewiesen sind.

Ich meine, wir sollten eine Kampagne mit dem Ziel starten, ein Gesetz zu erwirken, das es allen Bürgern erlaubt oder gebietet, in eigenen Land mit den Inspektoren der international zusammengesetzten UN-Kontrollbehörde zusammenzuarbeiten. Es ist ja bekannt daß, bevor vertragliche Abrüstung tatsächlich beginnen kann, zuerst<32> die Kontrollbehörde stehen und funktionieren, d. h. über wirksame Kontrollmechanismen verfügen muß. Allein eine solche Gesetzesinitiative, die natürlich in allen führenden Militärstaaten, d. h. international durchgezogen werden muß, würde es erlauben, über die Praxis der Appelle und Forderungen hinauszugelangen, und bei den Betroffenen insofern Betroffenheit auslösen, als die begleitenden Informationen ihnen das ganze Ausmaß der Bedrohungen vermitteln würden. Jede Zustimmung zu einer solchen Gesetzesinitiative ist zugleich ein persönliches Bekenntnis zur Mitarbeit an den Lösungen der Abrüstungs- frage.

Wenn Abrüstungsbemühungen überhaupt ernstgenommen werden sollen, dann müssen wir von der alten Vorstellung abkommen, der Militärapparat sei ein normaler Teil der Regierungen und beide schwebten hoch über den Köpfen des gemeinen Volkes. Wir müssen Vorstöße, und seien sie noch so klein, in jede Richtung unternehmen, in der ein gemeinsames Bündnis oder wenigstens ein gemeinsames Interesse von Regierung und Volk angestrebt werden kann: zu keinem anderen Zweck als dem der Eindämmung von Exzessen des Militärapparates. Hier kommt es dann entscheidend auf die Kooperation im innerstaatlichen wie im zwischenstaatlichen Bereich der Friedensorganisationen an. Es wäre also mit dieser Strategie, die ich hier nur skizziert habe, eine Isolierung des Militärapparates und der zu ihm gehörigen Teile des industriell-wirtschaftlich-technokratischen Komplexes beabsichtigt.

Die Chancen für eine Strategie des politischen Pazifismus, die darauf abzielt, die breite Öffentlichkeit für Abrüstung zu gewinnen und zu instrumentalisieren, sind nicht nur wegen der bisherigen Ergebnisse der politischen Entspannung höher einzuschätzen als in den 60er Jahren, als der Gedanke der Volkskontrolle erstmals von US- Friedensforschern ventiliert wurde. Es hat sich, zumindest für Kenner der Materie, schon längst der Sachverhalt der totalen Ratlosigkeit und Hilflosigkeit der uniformierten und zivilen Militaristen herausgestellt. Sie haben keine Argumente mehr, die es ihnen erlauben würden, die Erfüllbarkeit ihrer militärischen Aufgaben rational nachzuweisen. Es ist mehr als symptomatisch, daß sie seit Jahren jeder Diskussion mit der wissenschaftlich begründeten Kritik ihrer strategischen Theorien und Doktrinen ausweichen. Eine öffentliche Diskussion über Sicherheitsprobleme oder Strategiefragen findet sowieso nicht statt.

Im gleichen Umfang, und auch dies ist ein wichtiges Symptom, in dem die militärische Friedenssicherung als Bluff und die Strategie der Abschreckung als nur zum Krieg und zu nichts anderem führend<33> erkannt wird, steigt die Zahl derjenigen Bürger unentwegt, die sich in einem Zustand großer innerer Angst befinden. Ich meine hier die Kernkraftbewegung und ebenfalls die große Bewegung gegen die Neutronenbombe. Es ist zu fragen und zu ergründen, ob diese große Unruhe und Angst sich ursächlich auf die Gefährdung des Lebens, allen Lebens, durch Radioaktivität beziehen, also genau jene Vernichtungsdrohung, die im Arsenal des Kriegssystems Priorität genießt. Wenn das so ist, so muß jede Strategie des politischen Pazifismus darauf Rücksicht nehmen. Wir haben die politische Führung unseres Landes in aller Öffentlichkeit zu fragen und festzunageln, woher sie die moralische und politische Legitimation nimmt, den Lebensraum der eigenen Bevölkerung als atomares Schlachtfeld zur Verfügung zu stellen, — eine Tatsache, die überhaupt nicht bestritten werden kann. Gerd Greune hat in der Initiative »Mobilisation für das Überleben« mit dem Plakat »Besucht das schöne Europa — ehe es zu spät ist« ironisch darauf aufmerksam gemacht.

Ich glaube, daß die Zeit wirklich reif ist für die Entwicklung und Erprobung neuer, ungewohnter und ungewöhnlicher Formen, Mittel und Methoden. Die Jungsozialisten und der Sprecher für Militärfragen in der SPD fordern die Einrichtung eines Abrüstungsamtes, das ist zu begrüßen, aber wir sollten einen Schritt weitergehen und die Möglichkeit der konkreten Mitarbeit in einem solchen Amt fordern. Mit unserer Internationalen Stafette hatten wir insofern einen beachtlichen Erfolg, als wir in allen Ländern, die wir durchfuhren, sehr großes Verständnis und Unterstützung für die Forderung gefunden haben, daß die Völker selbst künftig an den Abrüstungsverhandlungen beteiligt sein müssen. Das alles sind Ansätze, die weiterentwickelt werden müssen: kreativ, unorthodox und mit möglichst viel Spontaneität.

Warum fragen wir eigentlich nicht hartnäckig nach den Beweisen für die Behauptung, daß Europa nur deshalb 30 Jahre Frieden habe, weil es die NATO gibt? Oder, daß dies der Abschreckung zu verdanken sei? Ich persönlich bin der Auffassung — und könnte dies auch begründen —, daß wir Frieden trotz NATO und trotz Abschreckung behalten haben.

Ich bin der Meinung, daß als wichtiges Argumentationsschema in eine Abrüstungsstrategie eine ausführliche Erörterung und der Vergleich der Abrüstungsbereitschaft beider Systeme hineingehört — ebenso die Erörterung der möglichen und denkbaren Kriegsziele des potentiellen Gegners in Westeuropa, um der stereotypen Formel von der Bedrohung Westeuropas die Glaubwürdigkeit zu nehmen. All dies und noch anderes mehr, und vor allem öffentlich!<34>

Daß der politische Pazifismus seiner Aufgabe nur in Zusammenarbeit mit anderen, an gleicher Zielsetzung interessierten Kräften gerecht werden kann, ist eine Binsenwahrheit. Daß wir aber in der Bündnisarbeit noch zu wenig die eigenen, d.h. die politisch-pazifistischen Positionen eingebracht und offensiv verteidigt haben, ist ebenso richtig. Unsere Positionen bilden wie keine anderen das genaue politische, moralische und sittliche Gegenstück zum Militarismus, zum Militär, zur Militärpolitik. Das ist eine sehr gute Voraussetzung für unsere friedenspolitische Arbeit an und mit den Kriegsdienstverweigerern bei uns und in allen europäischen Staaten, die abrüsten müssen, wenn Europa überleben soll.

Zur Kriegsdienstverweigerung

Ich meine, daß nach dem Urteil von Karlsruhe4, mit dem sich die dritte Gewalt dieses Staates — und dies sicherlich in Übereinstimmung mit den konservativ-reaktionären Kräften — auf die Seite des Kriegssystems gestellt hat, die Idee der Kriegsdienstverweigerung mit der Idee des Soldatentums und dem Bild des Soldaten im Atomzeitalter in aller Schärfe konfrontiert werden muß.

Ich gehöre nicht zu denen, die von Soldaten als Mördern sprechen, wohl aber spreche ich sehr bewußt von der Rolle der Henkersknechte, die Soldaten im Kriegsfalle zu übernehmen haben werden.

Ich spreche von den Berufssoldaten und nenne sie Hiwis, das ist jener wenig schmeichelhafte Ausdruck, mit dem die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg die Kollaborateure aus den anderen, besiegten Armeen belegten. Sie sind Hiwis — das heißt hilfswillige Soldaten im Dienste einer landfremden Militärmacht, für die das Gebiet der Bundesrepublik Schlachtfeld und nichts anderes ist. Die z. Z. laufen- den Manöver beweisen dies erneut.

Ich nenne sie die wahrhaft vaterlandslosen Gesellen in Uniform, weil sie in lückenloser Kenntnis des Kriegsbildes nicht nur das eigene Land, sondern auch die eigenen Landsleute einem unvorstellbaren Grauen ausliefern.

Ich nenne sie unmoralisch, feige und dumm, weil sie alle Tugenden, die ehemals einen Soldaten auszeichneten, vor allem die Tugend, nicht gegen Unbewaffnete, Frauen und Kinder Krieg zu führen, verraten und verloren haben; sie sind die wahrhaft Feigen, weil sie um ihrer Karriere willen weder den Gehorsam aufkündigen — und zwar heute — noch den Mut haben, ihren Untergebenen oder dem Volk, dem sie<35> entstammen und das ihnen ihre Existenz ermöglicht, die volle Wahrheit zu sagen; sie sind über alle Maße gefährlich dumm, sofern sie an die sinnvolle Erfüllbarkeit ihres Auftrags glauben oder wenn sie glauben, daß sich hinter der Motivationsformel »Freiheit« wirklich die Freiheit der Menschenwürde verbirgt.

Dies sind einige Pinselstriche zum Bild des Soldaten. Wir müssen die Auseinandersetzung aufnehmen, wir, die Kriegsdienstverweigerer und Pazifisten. Denn wenn es stimmt, daß die Menschheit nur einen Feind hat, den Krieg nämlich, dann gehören die Krieger dazu.

Deswegen so hart formuliert, weil ich es als vordringlichste Aufgabe einer basisorientierten Organisation des politischen Pazifismus ansehe, die Fronten zu klären. Es ist für uns und unsere Sache von ausschlaggebender Bedeutung, die Öffentlichkeit nicht nur zu informieren, sondern für die Sache der Kriegsverhinderung durch Abrüstung zu gewinnen. Die Friedensbewegung hat immer auf zwei Ebenen diskutiert, einmal intern, sozusagen unter Insidern, und zum anderen mit der Öffentlichkeit. In der Diskussion mit der Öffentlichkeit kann die Kompliziertheit und Vielschichtigkeit der Probleme nicht vermittelt werden. Sie müssen als das dargestellt und vermittelt werden, was sie in Wahrheit und Wirklichkeit sind: Fragen von Leben und Tod.

1Die Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK), 1974 aus einem Zusammenschluß von Deutscher Friedensgesellschaft-Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG-IdK) und Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) hervorgegangen. Die DFG hatte sich bereits 1968 mit der IdK zusammengeschlossen. Mit der DFG-VK entstand erstmals nach 1945 ein großer einheitlicher Verband von Pazifisten und Kriegsdienstgegnern. Die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) wurde 1892, die Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK) 1921 (als Bund der Kriegsdienstgegner bereits 1919) und der Verband der Kriegsdienstverweigerer 1958 gegründet. Zur Geschichte und Arbeit der DFG-VK bzw. DFG-IdK finden sich in den Reden und Texten dieses Buches zahlreiche Informationen.

2In den letzten Jahren sind eine Reihe von Arbeiten über die Geschichte der Friedensbewegung und des organisierten Pazifismus in Deutschland erschienen. Zum Beispiel: Guido Grünewald, »Die Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK)«, 1982, Pahl-Rugenstein Hochschulschriften; Friedrich-Karl Scheer, »Die Deutsche Friedensgesellschaft (1892—1933)«, 1981, Haag und Hgrchen; K. Holl/W. Wette, »Pazifismus in der Weimarer Republik«, 1981, Schöningh; G. Grünewald, »Der Verband der Kriegsdienstverweigerer 1958—1966«, Friedenspolitische Studiengesellschaft.

3Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 13. April 1978, mit dem das Gesetz der Bundesregierung vom 1. August 1977 — Abschaffung des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer mit Vorbehalten (sog. Postkartenverfahren) für verfassungswidrig erklärt wurde. Durch das Urteil wurde die Gewissensinquisition für KDVer, die einige Monate beseitigt war, wieder fortgesetzt.

4 ebendieses Urteil.

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